Wir unterstützen den folgenden offenen Brief von Dr. Michael Stoffels:
Offener Brief
an den Landrat des Kreises Viersen Herrn Dr. Coenen
an die Fraktionen im Kreistag
an die BürgermeisterInnen im Kreis Viersen
Sehr geehrte Damen und Herren!
In Italien war der Tag danach der Tag der Staatstrauer. Europäische Politiker forderten ein Umdenken. Auch die EU-Kommission reagierte mit Bestürzung auf die „enorme Tragödie, für die es keine Worte gibt“ (EU-Kommissar J.Hahn). Was sich ereignet habe, sei eine „Schande für Europa“ meinte der Papst und verurteilte „die Gleichgültigkeit gegenüber jenen, welche die Sklaverei, den Hunger fliehen, um die Freiheit zu suchen, doch stattdessen den Tod finden“.
Man mag es kaum glauben, dass der „Tag der Tränen“, der so viel Erschütterung auslöste, nicht einmal fünf Jahre her ist, jener Tag, an dem vor der italienischen Insel Lampedusa Flüchtlinge nach dem Kentern ihres Bootes verzweifelt um ihr Leben kämpften und mehr als 400 von ihnen in den Fluten versanken, Männer, Frauen und Kinder.
Man mag es kaum glauben, weil nicht viel geblieben ist von der Erschütterung, von den an höchster politischer Stelle erhobenen Forderungen die Gesetze entsprechend den Grundprinzipien der Menschlichkeit und Solidarität zu ändern. Deutschland, Österreich und Italien wollen sich gar angeblich darauf verständigen, das Mittelmeer komplett abzuriegeln. Statt Brücken baut Europa Mauern. Statt Rettung Abwehr und Abschottung:
„Plötzlich gibt es zwei Meinungen darüber, ob man Menschen, die in Lebensgefahr sind, retten oder lieber sterben lassen soll. Das ist der erste Schritt in die Barbarei.“ (Wolfgang Luef, SZ-online 05.07.2018)
Seenotrettungsschiffe von humanitären Hilfsorganisationen wie z.B. Sea Watch und ‚Ärzte ohne Grenzen‘ irren tagelang mit geretteten Flüchtlingen auf dem Meer umher, weil sie Häfen nicht anlaufen dürfen. Selbst Schiffe, die im Rahmen der EU-Operation „Sophia“ im Mittelmeer unterwegs sind, soll der Zugang zu italienischen Häfen verweigert werden, wenn sie aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Bord haben. Gleichzeitig dürfen in Häfen liegende Seenotrettungsschiffe nicht auslaufen, ihre Besatzungen werden kriminalisiert.
Private Rettungsschiffe sind ein Ergebnis der Verantwortungslosigkeit europäischer Regierungen. Amnesty International („Bericht zur europäischen Flüchtlingspolitik“) macht diese direkt verantwortlich für steigende Todeszahlen von Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer. Allein im Juni und Juli sind mehr als 850 Männer, Frauen und Kinder ertrunken. Einer von 30 Flüchtlingen kam nach Angaben des UNHCR ums Leben oder gilt als vermisst.
Der Vorwurf, mehr Retter produzierten mehr Flüchtlinge, ist nachweislich falsch (z.B Studie E.Steinhilper/R.Gruijters, Univ.Oxford u.a.), ebenso falsch wie die Behauptung, dass mehr Rettungsboote mehr Flüchtlinge anlocken würden. Es gibt nur einen Zusammenhang: Mehr Retter heißt: weniger Tote.
Doch kein einziges Rettungsschiff ist derzeit wegen der massiven Behinderungen unterwegs. „Hier wird unterlassene Hilfeleistung gewissermaßen angeordnet – das ist ein Skandal“, empörte sich der EKD-Präses Manfred Rekowski dieser Tage bei seinem Besuch auf der im Hafen von Malta festgesetzten Sea-Watch 3.
Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung. In zahlreichen deutschen Städten fanden sich viele Tausende zu Demonstrationen und Kundgebungen zusammen und forderten ein Ende des Sterbens im Mittelmeer. Petitionen mit gleicher Stoßrichtung und der Forderung nach einer humanen, an Menschenrechten ausgerichteten und solidarischen Flüchtlings- und Migrationspolitik wurden hunderttausendfach unterschrieben. Viele hochrangige VertreterInnen von gemeinnützigen Institutionen, Menschenrechtsorganisationen und Kirchen fanden sich zur Unterstützung bereit.
Aufsehen erregte vor allem auch, dass BürgermeisterInnen aus Düsseldorf, Köln und Bonn, denen sich andere Städte wie auch unsere Nachbarstadt Krefeld anschlossen, in einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin angeboten haben, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen und damit konkret etwas gegen das tägliche Sterben auf dem Mittelmeer zu tun. Auch wir, die wir uns ehrenamtlich in den Kommunen des Kreises Viersen für Flüchtlinge einsetzen, und mit uns sicher noch viele andere BürgerInnen wollen in einem Gemeinwesen leben, das sich solchem Anliegen verpflichtet fühlt. Das Schutzbedürfnis von in Seenot geratenen Menschen hat Vorrang vor allen anderen Erwägungen. Daher fordern wir Sie als politisch Verantwortliche im Kreis Viersen auf: Setzen Sie ein Zeichen gegen ein Sterben, in dem mit den Toten auch die grundlegenden zivilisatorischen Werte der Menschlichkeit zu versinken drohen! Erklären Sie sich bereit, einige der Geretteten bei uns im Kreis Viersen aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Stoffels
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